Lächerlichkeit. Eine themawürdige Exaltation 

Lächerlichkeit. Eine themawürdige Exaltation

Von Bernhard Benz

Von Alfred Polgar stammt das folgende Diktum:

„Eine wahre Himmelsgabe ist die Lächerlichkeit des anderen. Sie erhöht das Selbstgefühl dessen, der sie bemerkt, und ermöglicht es sogar dem Traurigen, sich lustig zu machen. Brächte man es dahin, die eigene Lächerlichkeit so zu exploitieren – was wär’ das für ein fröhliches Leben!“

Dieser Ausspruch, scheint mir, erheischt eine angemessene Erörterung, die sich dann zudem offenkundig auf die schöne Motivation gründet, sich zumindest theoretisch um jedermanns Aussicht auf eine allfällige Mehrung heiterkeitlicher Lebensumstände zu kümmern. Selbstverständlich versäumt es ein umsichtiger, aber noch reputationsarmer Verfasser nicht, den grundsätzlichen Zweifel anzuzeigen, ob ihm für die nachfolgende kleine Untersuchung hinreichender Witz zu Gebote stehe.

A. Die Lächerlichkeit des anderen. Ein Beispiel

1. Aphorismus von Robert Neumann:
Manche Leute braucht man nicht zu parodieren. Es genügt, dass man sie zitiert.

2. Erprobung des Neumann-Wortes:
Das Objekt der aphoristischen Aussage ist mit manche Leute denkbar vage umschrieben. Möge daher die Wahl der anschliessend zitierten Person sich im Hinblick auf einen erwünschten Trefflichkeitserweis als verblüffender Glücksgriff herausstellen:

„Die Vierung west als das ereignende Spiegel-Spiel der einfältig einander Zugetrauten. Die Vierung west als das Welten von Welt. Das Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignens. Deshalb umgreift der Reigen auch die Vier nicht erst wie ein Reif. Der Reigen ist der Ring, der ringt, indem er als das Spiegeln spielt. Ereignend lichtet er die Vier in den Glanz ihrer Einfalt. Erglänzend vereignet der Ring die Vier überallhin offen in das Rätsel ihres Wesens. Das gesammelte Wesen des also ringenden Spiegel-Spiels der Welt ist das Gering. Im Gering des spiegelnd-spielenden Rings schmiegen sich die Vier in ihr einiges und dennoch je eigenes Wesen. Also schmiegsam fügen sie fügsam weltend die Welt.“

Schade beinahe, nicht, dass sich an dieser Stelle schon wieder der weit prosaischere Beitragsschreiber der Rede bemächtigt! Aber es gilt, die geplante Unterbreitung voranzubringen, dürfte doch das ärgste zitatbedingte Lachen bereits absolviert sein, auch wissendes Lächeln sich wieder geglättet haben. Dafür wird sich  aller erwartbaren Üblichkeit gemäss  bei weniger einschlägig Kundigen das Interesse an der Identifizierung des zitierten Autors eingenistet haben. Gerade aber damit hat es keine Eile. Für die unter der Leserschaft wohl nicht allzu spärlich vertretenen Kenner oder Eingeweihteren steht diese Identität ohnehin gewiss schon nach dem ersten Satz des Zitats fest (und ihrer nicht wenige werden vielleicht dessen unfreiwilligen Selbstparodierungscharakter nur zögernd oder widerstrebend einräumen, wiederum einige dies sogar empörungswillig ausschlagen). Gemeinhin aber kann kaum geleugnet werden, dass die Anmutung durch einen Text weit unbefangener vonstattengehen kann bzw. könnte, wenn sein Verfasser unerkannt oder unbekannt ist bzw. wäre. Ferner sei mit sanftem Nachdruck darauf hingelenkt, dass hier Lachen oder Nichtlachen vorrangig zur Debatte steht, nicht Namenraten! Mit der Preisgabe hat es also, wie gesagt, Weile (zumal ein allfälliger Zusatzeffekt, die Relation zwischen dem etwaigen Renommee eines u. U. unvertrauten Autors und einem Muster seines Schaffens als komikstiftendes Gefälle wahrzunehmen, durch leichten Aufschub keineswegs Einbussen erleiden sollte). Dafür füge ich hier noch zwei Urteile  ein eher polemisches sowie ein pointiertes  über den Zitierten an, ohne über die diesbezügliche Kompetenz ihrer Urheber nähere Angaben machen zu können; a) eines Studenten: H. ist so kompliziert, weil er nichts zu sagen hat. Aber dass er nichts zu sagen hat, sagt er hervorragend, und b) einer englischen Journalistin: H. is the man who is hopelessly untranslatable to English, some even say: into German

(Martin-Heidegger-Zitat und zwei Urteile gemäss Abdruck in: Lenk, Hans, Kritik der kleinen Vernunft, Frankfurt 1987, S. 139/140 u. S. 14)

3. Einschätzung der Trefflichkeitsprobe:
Das Gelächterstiftende an Texten z. B. von Arp, Ball, Hemmings, Huelsenbeck, Tzara und Co. gereicht uns oft zu heiterkeitlichem Genuss, ist aber weder 
 im Sinne des Ausspruchs Polgars  lächerlich noch  im Sinne desjenigen von Neumann  unfreiwillige Selbstparodie. Deklarierter oder einbekannter Dadaismus kann oder will sich von soliden Lachsalven begleitet oder gefolgt sehen. Ein Text aber wie derjenige von M. H. kitzelt  für mich  die Empfindung des unfreiwillig Komischen aus den abgründigsten und intimsten diesbezüglichen Reizbarkeiten herauf, und wenn man sich zudem die Sache mit der Vorstellung flankiert, wie etwa der Autor seinen Wurf vor eingeschworener Jüngerschaft getragen und weihevoll vorträgt und Letztere ergriffen-ernst und verständnisinnig-beseelt ins Quasisakrale ekstasiert  dann kann ein Skeptisch-Mündiger, und wäre er der Traurigsten einer, sich, wie kurz oder lang auch immer, auf jähe Gipfel beträchtlicher Lustigkeit gehoben finden. (Sofern das allenfalls verwunderliche Faktum einer quantitativ bedeutenden Adeptengemeinde des auch in den dräuendsten Alpträumen ihrer Mitglieder niemals als solchen verdächtigten Lächerlichkeitsstifters die Skepsis des Skeptikers nicht etwa erodiert, ist die borniert-verzückte Anbetung des Nonsensproduzenten durch die Anhängerherde im Gegenteil dazu angetan, Lachintensität und -ergiebigkeit des Nichtaffizierten um ein Mehrfaches zu steigern.)

4. Rechtfertigung der Wahl des Typs eines Lächerlichkeitsexempels:
Die Fülle anführbarer Beispiele für je und bisher manifestierte, gegenwärtig produzierte und zukünftig mögliche Lächerlichkeiten (des anderen) ist unermesslich, und auch zwecks Unterbreitung ausschliesslich umwerfendster, schrillster, närrischster, kapitalster Realisierungsexempel könnte aus dem Vollsten geschöpft werden. Aber erstens würde ich mit Veranschaulichungen der plakativsten Art geradezu fahrlässig die Wirkung begünstigen, dass die Leserschaft grossmehrheitlich erhaben lächelnd dem bevorzugten Kreis jener fraglos sich zuzurechnen neigte, die als Urheber derartiger Manifestationen vermeintlich ausser Betracht fallen. Zweitens hingegen will bedacht sein, dass die nicht zuletzt unter dem Banner der 
Chancengleichheit unabweisbar fortgeschrittene Karnevalisierung der Gesellschaft einerseits die allgemeine Wahrnehmungssensibilität für lächerliche Entfaltungen beträchtlich reduziert hat, anderseits gar Moden gebiert, von so genannten Trendsettern als Kult deklarierte Torheiten mit der Aura des Begehrens- bzw. Nachahmenswerten zu umfloren. So legte sich mir denn drittens der Entscheid nahe, ein Lächerlichkeitsexempel anzubieten, das es sowohl Angehörigen tieferer Bildungsschichten ermöglicht, in spontan-unbändiges Lachen auszubrechen, wie auch Anspruchsgewohnteren gestattet, das Beispiel als besonders subtil-maliziös gewählt zurückhaltend zu beklatschen.

B. Die Exploitation der eigenen Lächerlichkeit

Ist es überhaupt und schlechthin möglich, eine von Polgar konjunktivisch erwägend postulierte heiter- bzw. fröhlichkeitliche Nutzbarmachung der eigenen Lächerlichkeit  für einen selbst  praktisch zu verwirklichen? Nein, sage ich  jedenfalls nicht für eine Person, die schlicht und begreiflicherweise für sich in Anspruch nimmt, nicht dem abgesonderten Bereich des dreifach-toll Närrischen, des hochpervertiert Abseitigen zugerechnet werden zu wollen, da ja der Lustbezug aus Publikumsgelächter als unvermerktem Ausgelachtwerden eine idiotische Konstitution voraussetzt und anderseits der Lustgewinn aus wohlvermerktem Ausgelachtsein eine pathologisch verquere masochistische Empfindungsanlage bedingt.
Gemeinsamer Grundzug aller puren Lächerlichkeit, sowohl der fremden wie der eigenen, ist das fehlende Lächerlichkeitsbewusstsein des lächerlich Wirkenden bzw. Handelnden. (Explizit ausgeklammert sei in meiner Kurzbetrachtung das Phänomen der blitzschlagartig eintretenden, zu- und unfallsbedingten, situativ einmaligen und kurzzeitigen Lächerlichkeit, der unvorhersehbare schicksalhafte Lapsus, dessen noch so geschickte humorvolle Parierung bestenfalls einer nach aussen gerichteten Schadensbegrenzung gleichkommt, niemals aber dem Lapsusopfer ungetrübten erkennbaren Fröhlichkeitsgewinn bescheren kann.)
Von den tausend Veranlassungsgründen für lächerliches Inerscheinungtreten seien nur zwei, drei Handvoll erwähnt: Eitelkeit, Dünkel, Überschätzung (intelligenz-, eignungs-, talent-, sensibilitätsmässig; motorisch etc.), Affektiertheit, exhibitive Neigungen aller Sorten, schlechter Geschmack und Stil, Ungeschlacht- und Ungehobeltheit, selbstkreierte Disproportionalität, Pathos, militärische Rituale, Begriffsstutzigkeit, Zelotismus, extreme modische Kaprice usw., usf. Ihrer aller Entfaltungen und Wirkungen kann, je nach subjektiver Reizbarkeit, mehr oder weniger berechtigt, mehr oder weniger herzlich bzw. schadenfreudig, hämisch oder schäbig gelacht werden. Unabdingbar scheint mir, wie angedeutet, aber die anscheinliche Unfreiwilligkeit der Verursacherrolle. Der Zusammenfall eines also aktiven Lächerlichkeitserzeugers einerseits und eines in Bezug auf die gleiche Lächerlichkeitsmanifestation absichtsvoll (oder prinzipiell) Fröhlichkeitsgewinnerpichten anderseits in der gleichen Person 
 diese theoretische Konfiguration erscheint dermassen unverträglich, ja eigentlich beispielhaft widersprüchlich, dass ich mich nicht weiter in quälende Anstrengungen verlieren mag, allenfalls einen entlegensten praxisbezeugten entsprechenden Realisierungsfall, immer unter der Einschränkung auf Bedingungen des Gedeihlich-Gesunden, aufzuspüren.
Erwähnen wir der Vollständigkeit halber auch jene scheinbare Lächerlichkeit, die jemand aus komikbegabtem Altruismus oder dann berufshalber dem Publikum vorsätzlich spendet, um im Interesse selbstloser bzw. broterwerblicher Bemühung die Mehrung der allgemeinen Spasssumme der gelegenheitlichen bzw. zahlenden Lächerlichkeitsrezipienten zu bezwecken. Aber die vorsätzliche Lächerlichkeit ist nicht die eigentliche. Und wenn auch der wohltätige wie der professionelle Lächerlichkeits-Erkünstler seine Befriedigung, gar sein Vergnügen aus seiner Berufung zu gewinnen verstehen kann, Grund, sich über sich selbst lustig zu machen und sich gerade und allein darob erfreut zu fühlen, ist im eigentlichen Sinne dieses Sachverhalts nicht gegeben.

C. Appell

Wir können uns immerhin gegenseitig das Leben vielleicht erheblich leichter und fröhlicher machen, wenn wir einander jederzeit mit unprätentiöser Offenheit bekennen, welcher essentiellen oder speziellen Lächerlichkeitsbegabungen trächtig wir ein Leben lang einhergehen, und uns spielhaft, aber regelernst des eigenen Lächerlichkeitsverdächtigen häufig und allerorten treuherzig selbst bezichtigen.
Ihnen, lieben und zweifellos philosophisch reflexionsgeschulten oder -tüchtigen Leserinnen und Lesern, ein dermassen improvisiertes, fragmentarisch geklittertes und nicht weiter kritisch überarbeitetes Machwerk vorzulegen, bedeutet denn ja auch kaum etwas anderes, als Ihnen zumindest potenziellen Lächerlichkeitslachgenuss kostprobenartig anzubieten.
Und wie halten Sie
s mit Ihrer Lächerlichkeit?

D. Epilog

Für die Geisteshaltung, die es einem Verfasser auferlegt, anlässlich einer Betrachtung zum Thema Lächerlichkeit sich in exaltiert-selbstverständlicher Weise freimütig auch der eigenen diesbezüglichen Mitverursacherschaft zu zeihen, scheinen u. a. das Vorwalten humorgeprägter Regungen und ein behutsames Anerbieten philanthropischen Vermittelns kennzeichnend zu sein. Statt überhaupt von Lächerlichkeit zu reden, vielmehr in der Manier balsamisch-zuckrigen hyperempathistischen Wohlfühlklangs ausschliesslich von jedermanns tausendfältigen unschuldigen, mühevollen und schicksalsbeladenen Nöten rechtschaffener, aber allzeit missglückensgefährdeter Selbstbehauptung und notwendig unentrinnbaren Zwängen tragischen So-und-nicht-anders-Könnens zu schalmeien  dazu kann mich aber dann doch auch vornehmere Denkart nicht bewegen. Halte ich doch mit Schopenhauer dafür, dass wir Menschen zwar nicht frei sind, unser Wollen zu wollen, wohl aber fähig, ein Gewolltes so oder anders oder nicht zu tun.

(Kaltbrunn, Dezember 2008) 
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