Aphoristerei

 Aphoristerei 

Dünkel verpflichtet. Im Falle argen Verkanntwerdens liesse ich mich bei Weitem lieber der Narrheit zeihen und derentwegen belächeln oder beschimpfen, als gleichsam geschwisterlich grosszügig den bewusstseinslos konformistischen und zeitgeisthörigen viel zu Vielen mit zugerechnet zu werden.

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Für und wider Aphoristerei. – Wer sich berufen wähnt, andere an seiner Weisheit teilhaben zu lassen, bedient sich zum Beispiel des Aphorismus als vermeintlich geeigneten Mittels hierzu.

Wer sich des allfällig Wahnhaften dieser Berufung zweifelsvoll bewusst und zugleich eitel genug ist, sich niemals dem Verdacht hochfahrend-bornierter Weisheitsaufdringung oder ambitioniert-prätentiöser Sprachequilibristik auszusetzen, wird diese (hoffärtige) Vornehmheitsattitüde unter Umständen mit dem quälend empfundenen Verzicht auf lustvolles Geist-und-Witz-Erproben und auf ein möglicherweise glänzendes Aphoristiker-Renommee bezahlen.

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Sinn-Spruch. – Vielleicht heisst man’s zu Recht Unsinn, wenn die Frage nach dem Sinn des Lebens von vornherein entweder als entschieden sinnvoll oder als gänzlich sinnlos apostrophiert wird. Fast gewiss aber gründen sich die Beharrlichkeit dieses Fragens und mehr noch die Überzeugung, eine definitive Antwort darauf gefunden zu haben, auf eine beträchtliche Portion an Starrsinn bzw. erweisen solchen. Gleichsam elysisch beheimatet aber schwebt und lächelt über alldem der lebenslang gnadenvoll und unverlierbar geschenkte naive, reine Froh- und Heitersinn

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Wohlfeile Würde. – In formal demokratischen, marktfundamentalistischen Überflussgesellschaften wird die allen Individuen pauschal und apriorisch zuerkannte Menschenwürde von wachsenden Mehrheiten verdienst- und bedenkenlos als unverwehrbares Recht auf die Gewährung schrankenlos perpetuierter leiblicher bzw. materieller Ansprüche und auf kritikfreie Billigung jeglichen beliebigkeitlichen Willkürgebarens und -verhaltens aufgefasst. Dabei unterliegen diese Massen zunehmend ausschliesslicher dem wechselseitig sowohl selbstverschuldeten wie fremdintendierten Prozess, der ihre totale Instrumentalisierung als Vehikel blind fortgeschraubter Güterproduktion und verabsolutierter Rentabilität zum Ziele hat.

Ein Begriff ist dann obskur bzw. gegenstandslos geworden, wenn seine Bedeutung in der Lebenspraxis vom ursprünglichen Gehalt bis zu dessen Gegenteil individuell beliebig interpretiert und gehandhabt wird. – Würde wäre dann ein verdientes und damit auszeichnendes Attribut, wenn sie durch ernsthaftes Streben nach Tugend, willig geleistete Gemeinsinnspflichten und geistige Noblesse erworben würde

(Kaltbrunn, Anfang November 2011) 
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