Body-Spass-Index

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Von Bernhard Benz

Die Mehrheit der Weltbevölkerung überlässt es mehr oder weniger notgedrungen den US-Amerikanern, auf dem Gebiete der Beschleunigung allgemeiner sozialer, kultureller, ethischer Dekadenz eine umtriebige Pionierrolle wahrzunehmen, und beschränkt sich auf devotes, eifriges, etwas retardierendes Nachahmen. Daher wird einem Schweizer eine gewisse Anerkennung gebühren dürfen, der – nirgends so nationalcharaktertypisch wie auf dem Felde finanzieller, steuerlicher Fragen – es sich nicht nehmen lassen will, emsig und innovativ zum von männlichen Gottheiten definitiv verhängten gesellschaftlichen Niedergang mit tüftlerischer Eigeninitiative doch auch noch einen Swiss-made-Impuls beizusteuern. Der diesbezügliche Erneuerungsvorschlag macht einen kurzen begründenden, rechtfertigenden Exkurs nötig.

Für Chancengleichheit aller sei das Mögliche getan, glaubt man heute in weiten Kreisen behaupten zu sollen und weist auf bildungs- und sozialpolitische Massnahmen und Kompensationseinrichtungen hin.
Weit gefehlt, sage ich und meine dies: Die Chancengleichheit wird nie nur annähernd gewährleistet oder institutionell gesichert werden können. Auch dann nicht, wenn das im Folgenden begründete Postulat eingelöst würde. Dies ist allerdings noch auf weiten Wegen, weil zumindest bisher psycho-physiognomische Aspekte dieser Problematik von der politischen Diskussion ignoriert blieben. Zweifellos würde es immerhin einen bedeutenden Schritt in Richtung Optimierung des Möglichen darstellen.

Es geht um die naturgegebene körperlich-ästhetische Qualität des Individuums. Man weiss es: Schöne Menschen gaukeln und schaukeln, schwänzeln und tänzeln unbeschwert, heiter, frohgemut-leichtsinnig, oberflächlich, optimistisch und übermütig einen von Genüssen, Freuden und Liebe gesäumten Weg durchs Leben.
Ganz anders dagegen das Los der Hässlichen. Unterscheiden wir Letztere in zwei Hauptgruppen: a) Die bescheidenen, schüchternen, introvertierten Hässlichen. Sie erscheinen in der Regel als stille Pflichterfüller, als Pantoffelhelden, als Aussenseiter, bisweilen als Trottel oder dann als Sozialarbeiter, Priester, geniale Kapazitäten und Philosophen. b) Die unsensiblen, aggressiven Hässlichen. Sie erscheinen häufig als Karrieremacher und Manager, hohe Offiziere, Politiker, Hooligans, Sexualdelinquenten. Die erste Gruppe der Hässlichen macht sich selbst das Leben schwer, die zweite macht es andern sauer. Beides müsste nicht sein, gelänge es eine Massnahme zu treffen, die verhindert, dass die naturgegebene Hässlichkeit die Triebe und Ambitionen zu übertriebener Selbstlosigkeit, Demut, Vergeistigung oder dann zu Machtstreben, Ausbeutung, Körperübergriffsbereitschaft fehlleitet.

Genau auf diesen Punkt gründet mein Postulat eines Hässlichkeits-Steuererlasses. Und so wäre vorzugehen:
Anlässlich der Steuerveranlagung wird jeder Steuerpflichtige mit einem Photocomputer konfrontiert. Eingespeichert sind die laufend aktualisierten Daten des idealen lebensfrohen, kontaktfreudigen, schönen und trendigen Gegenwartsmenschentyps. Der Computer registriert nun via Photozellen die physiognomischen Merkmale des jeweiligen Steuerpflichtigen, setzt sie in mathematische Grössen um und vergleicht diese Werte mit den eingespeicherten Optimalwerten. Innerhalb weniger Sekunden wird aus der Abweichung der so genannte Hässlichkeitsfaktor errechnet. Je ausgeprägter die Hässlichkeit, desto höher der Faktor. 0,0 ist die minimale, 1,0 die maximale Grösse. Wird nun dieser Faktor zur Berechnung des Steuerabzugs herangezogen, sprechen wir vom so genannten Steuererlass-Koeffizienten (StErKo). Er wird auf die nach konventioneller Art errechnete, vorläufige Steuersumme angewandt. Beträgt beispielsweise der StErKo 0,5, wird der halbe Steuerbetrag erlassen, bei StErKo 0,0 wird nichts, bei 1,0 die ganze Summe erlassen. – Die so gewonnenen Mittel setze nun der hässliche Mensch ein, um sich Zärtlichkeiten, Liebesdienste, Sinnesfreuden u. a. m. nach Herzenslust zu erwerben und sich je nach Neigung und Risikofreude kosmetischen Operationen zu unterziehen.

Ziel wirklichen Strebens nach Chancengleichheit ist die allgemeine Angleichung von Daseinslust und Daseinsfreude unter den heute etablierten Verhältnissen kommerzialisierten, hollywoodisierten Körperlichkeitsbewusstseins.

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Dreierlei ist nachzutragen: 1. Personen, deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine noch festzulegende Obergrenze übersteigen, wird der Hässlichkeits-Steuererlass nicht gewährt, weil Reichtum und Sexappeal analoge Wirkungen entfalten bzw. weil eigene Mittel in Fülle vorhanden sind, sich nach Bedarf plastisch-kosmetisch-chirurgisch umbauen zu lassen. 2. Bei der jährlich neu erfolgenden Konfrontation mit dem Photocomputer wird sich die so genannte 
ästhetische Progression auswirken: Ist einer schöner geworden, vermindert sich sein (objektiver) Kompensationsbedarf, der Steuererlass-Koeffizient wird als tieferer Wert angezeigt und der effektive Erlass fällt daher geringer aus. (Am Problem einer alterungsgerechten regressiven Wirkkomponente wird noch gearbeitet.) 3. Alles andere eher als ein maskulinistischer Habitus hat mich bewogen, in diesem Text auf die explizite sprachliche Kennzeichnung allfälliger weiblicher Betroffener zu verzichten. Diese sind auch insofern nicht mitgemeint, als ein männlicher Verfasser sich nicht dazu versteigen darf, grundsätzliche und auf die Daseinslust-Relevanzen Bezug nehmende Aussagen über Inhaberinnen der andern, stärkeren, weiblichen Geschlechtsnatur – nicht einmal hypothetisch – zu machen, geschweige denn für sie vermeintlich befindlichkeitsverbessernde Massnahmen zu postulieren! 

(Kaltbrunn, 2004 [Ausbau und Neueinrichtung eines vor 1984 in Kriessern entstandenen Textes]) 
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