Können — aber was?

Können — aber was?

Von Bernhard Benz

Wer sich beschwörend und selbstsuggestiv „Ich kann was“ vorbeten muss, ist in eigen- oder fremdinitiierter Therapie eines vorgeblichen Defekts begriffen, der darin begründet ist, nicht akzeptieren zu können oder zu wollen, anscheinend ein Nichtkönner oder Nichtkünstler in jenen Belangen zu sein, auf die die lieben Mitmenschen, die Gesellschaft, die Welt ihr auf- bzw. abwertendes „relevantes“ Augenmerk richten.

Doch: Die Therapie ist überflüssig, die Defizit-Annahme falsch und das Welt-Augenmerk wertlos!

Worauf die Welt ihr Augenmerk richtet: Hat der Mensch Geld? Hat er Macht? Hat er einen makellosen Body? Ist er sexy? Ist er erfolgreich, prominent, cool, clever? Managt er Job und Lifestyle? Ist er trendy, in, hat sich geoutet? Ist er rechtzeitig echt betroffen? Usw., usf.

Wohin es am Ende führt, um jeden Preis ein Können ausweisen zu wollen, das sogar massenmediale Verbreitung erfährt und globale Beachtung findet, kann im Guinness-Book nachgelesen werden. Etwa so: Wer hat bis heute – frei Kopf stehend, mit dem stärksten Ausdruck der Betroffenheit und ohne sich zu verhaspeln – den folgenden Satz am schnellsten zehntausendmal gesprochen: „Obwohl mein persönlicher Himmel gerade voller Nike-Turnschuhe hängt, finde ich das Abholzen des brasilianischen Regenwaldes megamies, und ich spüre eine echt schaurige Betroffenheit darüber, dass ich in dieser Lage nichts gegen die Kinderprostitution in Thailand unternehmen kann.“

Also: Die Welt spinnt, ist verdeppt! Du bist gerade deswegen gut, weil du da nicht mitkannst! Die Defizit-Annahme ist in Bezug auf weltgültige Besitztümer und Fähigkeiten fehl am Platz (ja auch in kultureller und intellektueller Hinsicht!), Minderwertigkeitsgefühle aus scheinbaren Vergleichsungunsten sind grundlos.
Sinnvoll aber ist, dass in allen Belangen, die das ethisch-humanistisch geprägte Daseinsbehagen des Einzelnen wie der Gemeinschaft verbessern und sichern helfen, jeder nach seinem Vermögen mit persönlich bestem Wissen und Gewissen sein Bestes zu tun strebt. Aber: Das Persönlich-Beste ist der relevante Wert, nicht der Vergleichssaldo gegenüber andern!
Das Allerwichtigste hingegen ist eine tägliche, lebenslange Übung: Die Erlangung von Gelassenheit.

„Ich will’s können“ ist eigentlich nur in dieser Beziehung von essentieller Bedeutung:

Ich kann ohne Aufregung mit mir und der Welt leben, nehme nichts ganz ernst und nichts hochwichtig, teile, was ich habe, und helfe, wo ich kann, schaue ohne Groll, Tadel oder Bitterkeit, vielmehr mit Ruhe und verständigem Lächeln auf das Getümmel von Welt und Menschen und nippe in bekömmlicher Regelmässigkeit an meinem Lebens-Elixier Humor.

(PS: Ein augenzwinkernd glossierender Text – wie der vorstehende – muss sich nicht dem gleichen Vollständigkeits- und Seriositätsanspruch stellen wie beispielsweise ein wissenschaftlicher Aufsatz. Dennoch sei freimütig eingeräumt, dass z. B. Schulversagen, sei es genetisch, medizinisch, durch falsche Erziehung und/oder durch bildungsfernes Herkunftsmilieu bedingt, den jungen Menschen in psychohygienischer Hinsicht vorübergehend belasten kann. Eben bis die Persönlichkeit in Gelassenheit gereift ist.)

(In: Kaltbrunner Schulzeitung „Cogito“, Frühling 2002) 
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