„Scheisse! Shit! Merde!“ 

„Scheisse! Shit! Merde!“ 

Von Bernhard Benz


Die sprachdidaktischen Intentionen torkeln heute vom Lamentablen ins Lächerliche!
Wer die Volksschule als jahrzehntelang praktisch Involvierter kennt, weiss, wie erbärmlich es um die sprachliche Kompetenz des durchschnittlichen Schulabgängers derzeit steht. Tendenz (soweit noch möglich): sinkend.

Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, alle von Hellsichtigeren seit längerem erkannten und benannten Ursachen dieser Entwicklung aufzuzeigen und hinsichtlich des Grades ihrer Wirkung nachzuweisen. Stellvertretend seien aber einige Stichworte erinnert: genussorientierte Kommerz- und Konsumgesellschaft mit fehlender Verzichts-, Beistands-, Verlässlichkeits- und Anstrengungskultur; durch quotengeil instinktorientierte Medien aggressiv betriebene Massenverdeppung; materialistisch-ökonomistisches Wertvorbild des Brutalkapitalismus; preisgegebene private Erziehungspflicht; einseitig visualisierte und virtualisierte Weltwahrnehmung schon von der Wiege auf; in kommunikativer Hinsicht mit oder wegen technologischer Mittelsintflut untergehende Gesprächssubstanz und -fähigkeit; Idolisierung angloamerikanischer Kultur- und Lebensstildekadenz; durch migrationsbedingte schulische Integrationsaufgaben nach unten nivellierte Realisierung (sprach-)unterrichtlicher Jahresklassenziele etc.

Was, ums Himmels willen, soll ein begriffsloser und damit reflexionsunfähiger Mensch von der muttersprachlichen Sprachlosigkeit Belangvolles ins Englische oder Französische übersetzen? Und  wie da und dort noch blauäugig kolportiert wird – gar spielerisch? Spielerisch, also ohne Anstrengung, Fleiss, Studium, Lektüre, Memorieren, lassen sich bestenfalls banale alltagsdingweltliche Konkreta und primitivste Verben undifferenziert aufschnappen, sowohl in der Muttersprache wie in jeder anderen!

Versuchen wir endlich zu erörtern, was Sprachkompetenz ist und worin sie dem Menschen zugute kommt! Dazu müssen wir uns von materialistisch-utilitären, karrieristischen Standpunkten emanzipieren! (Wirtschaft, Industrie und Spekulanten sähen ohnehin lieber die Arbeitnehmer-Verschiebemassen, statt zu autonomen Menschen gebildet, zu computerkompatiblen Androidenlegionen gefertigt. Genetiker und Kloner werden’s ja wahrscheinlich richten.)
Nein! Die muttersprachliche Kompetenz des Einzelnen soll seinen Anlagen gemäss optimal entwickelt, gefördert und gebildet werden. Je reicher und differenzierter sein Begriffsvokabular, je tiefer seine Struktureinsicht und je nuancierter seine Formulierungssensibilität ist, desto komplexer ist sein Denkvermögen! Die Fähigkeit zur begrifflich gefassten und reflektierten Weltwahrnehmung und -erschliessung macht einen essentiellen Teil des Menschlichen am Menschen aus, hebt das Individuum vom Vegetieren ins menschliche Daseinsbewusstsein, bestimmt seine Selbsterkenntnis, seine Selbstverantwortung, die Autonomie seines Handelns und die realistische Einschätzung fremdinitiierten, manipulativen Machtmissbrauchs, ermöglicht die Teilnahme und Teilhabe am Denken, Fühlen und Wohlergehen des Mitmenschen über das rein Intuitive hinaus und optimiert also in jeder Hinsicht die Qualität seiner Kommunikationsdisposition!

Und genau diese muttersprachliche Kompetenz mit aufzubauen, sollte zu den erstrangigen Zielsetzungen der Volksschule gehören. Sie muss sich daher während mindestens der ersten sechs Jahre auf die Vermittlung einer möglichst hohen Fähigkeit und Fertigkeit im muttersprachlichen Bereich, also bei uns: in Deutsch, konzentrieren. Über die alltagsweltlichen Äusserungen hinaus soll der Zugang zu literarischen, poetischen, philosophischen Sprachwelten ermöglicht und gepflegt werden, damit die Abermillionen Bände des kulturellen Erbes und des zeitgenössischen Geisteslebens nicht ungelesen verrotten, sondern Bildung, Inspiration und Interaktion des heutigen Menschen mit tragen und prägen.
Die albernen Frühspielereien in Englisch und Französisch sind sofort aus den Lehrplänen der Primarschule zu eliminieren, der Deutschunterricht ist auszubauen!
Hat ein Kind also während der Primarschulzeit eine hinreichende muttersprachliche Struktureinsicht, einen stattlichen Wortschatz und eine gewisse Formulierungsqualität entwickelt, wird es erstens in kürzerer Zeit, motivierter, kundiger und fundierter sich fremdsprachliche Kenntnisse aneignen können und zweitens überhaupt erst etwas mitzuteilen in der Lage sein, was sich zu übersetzen lohnt.

Überspitzt formuliert, wird der heute beschrittene Weg der sprachlichen Volksschulbildung, wenn nicht eine Neubesinnung im hier angeregten Sinne erfolgen wird, den Durchschnittsabsolventen der Volksschule auf Sicht nur noch mit der Kompetenz ausstatten, „Scheisse! Shit! Merde!“ zu denken, zu meinen und zu äussern!

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„Easy, Mann! So ein intellektuell-elitaristischer Stuss-Erguss! Wir fordern vielmehr von den Pharma-, Medi- und Techno-Heinis subito die unentgeltliche Verabreichung der ultimativen High-space-Droge, damit wir uns for ever auf die mega-hedo-geile Dream-and-Fun-Schlaufe einlinken können. Bye!“

(Kaltbrunn. Dieser Aufsatz wurde im August 2001 verfasst, also ein Vierteljahr vor der Publizierung der [ersten] OECD- Studie PISA.)
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