Satirische Fasnachtsgroteske 

Satirische Fasnachtsgroteske

Devotio postmoderna: Unser Spasswille geschehe

Durchs leere Kirchenschiff echot Gottes bzw. des Priesters Wort von Wand zu Wand und verhallt im Ungehörten. Für gewöhnlich. –
Einmal aber im Jahr schlägt selbenorts grimme Lustigkeit ein: Das Narrenschiff rammelt sich mit vermummten Heiterkeitsdilettanten voll, und die Guggenmusik zerschränzt die Wundmale des notdürftig verschleierten Gekreuzigten. Behände sind sogleich auch einige als Marianische Jungfrauenkongregation unkenntlich gemachte Pfarreirätinnen zur Stelle, die sich auf der Kanzeltreppe als lebende Pyramide und Dreifaltigkeitssymbol aufbauen und ihre fromme Agilitätsentfaltung mit weihevollen Hingabegesten und züchtigen Frohlockenslauten begleiten. Dagegen geradezu archaisch und unheimlich grummelt’s und mutet’s alsbald an, wenn als mutiges Bekenntnis demütiger Genügsamkeit hinter den Masken der ganzen dumpf-einträchtigen Kostümiertenherde heraus die feierliche „Bleib-wie-du-bist“-Litanei gemeinsam und beschwörend geraunt wird. Aber unvermittelt bricht’s jetzt pinkfarben und wie mit amerikanischem Teenie-Kreischen aus der Sakristei: Es ist die Weight-Watchers-Riege des Vereins junggebliebener Mütter, die im Mittelgang einen dem Fasten-Idol Bruder Klaus gewidmeten Fitness-Hop mit etwas plümplicher Grazie zum Besten gibt. Endlich sind auch die lieben Kleinen (bis zur 3. Kl.) dran: Der süssen Schar putzig-tapsiger Spidermen und Catwomen werden Plastik-Leiern und Papp-Monstranzen eingehändigt, und der Herr Grundschulvorsteher handelt mit den Knirpsen einen Vertrag aus, dass sie sich vor dem Ende ihres rührenden Reigen- und Krähvortrags von „Zehn kleine Engelein“ die schönen Lobpreis- und Verehrungsgeräte nicht in die Fresse dreschen dürfen. Intermezzo der Schränzbrigade: „Nearer, My Dog – Chow-Chow, wow-wow –, to Thee …“ Hinter dem Ambo ziert sich nunmehr ein tuntiger Zeremonialclown, prustet Traubensaft, jongliert mit Hostienimitaten und fistelt schrill übers schunkelnde Fasnachtsgottesdienstfussvolk hin: „Der Herr will ganz, ganz sicher nicht, dass wir alles wörtlich oder ernst nehmen, ui, ui, ui!“ Würdevoll entsteigt sodann dem närrischen Gewoge ein Pulk schwefelfarbener Hochgerichtstalare, schlägt ein an- und abschwellendes rituelles Lachen an, nähert sich gemessen dem Priester in Zivil und verleiht diesem unter Segnungsgebärden das Ordensemblem des „Opus beelzebubi“, die rosa Weiberfurzgloriole. (Der zwiespältig Geehrte aber, grünlich von Angesicht, lächelt gequält und schielt wie flehend himmelwärts, denn an seiner Seele nagt des Gewissens bohrender Blasphemievorwurf.) Agape! Für alle hat’s überreichlich von Speis und Trank, und geschwisterlich steht man sich bei, wenn etwas nicht mehr so recht hineinwill: Gedächtnis der wundersamen Brotvermehrung und zugleich adversativ-symbolisch anmahnender Vorverweis auf die nahe Fastenzeit. Und jäh und heftig senkt sich auch noch die schaurige Betroffenheit ob der Themen „IS-Terror“, „Fremdenfeindlichkeit“ und „Sexuelle Belästigung“* bis tief unter die Perücken herab. Allmählich naht die Entlassung, und Rücken an Rücken zu den jeweils nächst Umstehenden, versichert man sich gegenseitig allerwertester Solidarität. Derweil trötet die Guggerkapelle mit stümperhaft parodiertem Pathos den ökumenisch-ökonomistischen Kultsong „It’s a Short Way to Cash and Career“. Da erzittern die hoch im Gewölbe schwebenden üppigen Engelattrappen, bersten nach Manier einer Knallkörpersalve und bedecken die Spassgemeinde mit einem sintflutartigen Mannabärchenregen. Der angebahnte Auszug jedoch geht, wenn auch etwas zäh, gemäss Eventkonzept vonstatten. Aus zwei, drei Beichtstühlen ist noch ostinates Seufzen oder Röcheln zu vernehmen, während das bunte Völklein, teils irgendwie sakral gebrandmarkt, teils gewohnt nörgelig, sich den Portalen und der gnadenlos kalten Alltagsrealität entgegenschiebt. –
Na, ist’s so? War’s ungefähr so? – Nein, nicht? – Noch nicht? – Aber wir haben immerhin 622 Christenjahre Vorsprung auf den Islam …

(Kalbrunn, Januar 2008) 
*Diese Themenaufzählung wäre Jahr für Jahr zu aktualisieren (letzte Anpassung 2017).

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(Zu „Devotio postmoderna“: Interpretationshilfen

Satirisch angepeilt ist mit diesem Text in erster Linie die Gesinnung jenes sich „basisdemokratisch“ befugt fühlenden Kirchgemeinde-„Mobs“, der – wie beinahe alle andern Zeitgenossen ebenso hedonistisch spassorientiert, spiritualitätsfern, in ethischer Hinsicht ego- und libidogeprägt und insgesamt güterverblendet und kapitalismushörig, nur pharisäischer noch als jene – glaubt, die Angleichung religiöser Gehalte, Gebote und Verpflichtungen an die eigene trivial-profane Trendkonformität fordern zu dürfen [und dabei seine unreflektierte Zeitgeistverfallenheit dummdreist für reformlegitimierende, wenn nicht gar gottgewollte Aufgeschlossenheit ausgibt].

So wundert es uns demnach wenig, wenn heute eine Pfarrwahlkommission dem Kandidaten gleichsam im Sinne einer Conditio sine qua non die Frage präsentiert, ob er die Durchführung von Fasnachtsgottesdiensten befürworte oder ablehne.

Und der Klerus selbst? Weit eher Opfer als Täter, eingeschüchtert, anerkennungshungrig, [scheinbarer] kirchenpolitischer Erfordernisse bewusst, versucht er sich – also teilweise notgedrungen willfährig – zwischen Widrigkeiten, Widersprüchen, ewig unverbrüchlichen theologischen Maximen und säkularen Willkürbeliebigkeiten durchzulavieren …

Ist „Unser Spasswille geschehe“ satirisch-grotesk gestaltet, so ist diese Fussnote zwecks eindeutiger Kenntlichmachung des Gemeinten vielleicht etwas überpointiert formuliert. Um missverständlichen Rückschlüssen auf die Intentionen des Verfassers a priori zu begegnen, sei hier noch angemerkt, dass das persönliche weltanschauliche Bekenntnis des Letzteren weder einem Konfessionalismus noch einem Fundamentalismus huldigt, sondern eher religionsskeptisch geprägt ist und dazu neigt, von Menschen nicht beantwortbare Fragen offenzulassen, hingegen sehr bestimmt für einen aufgeklärten Vernunftgebrauch und eine deontologische Ethik, aber gegen die männlichen Prinzipien von Ökonomismus, Militarismus und Machismo eintritt.)

(Die „Interpretationshilfen“ sind nicht Bestandteil des für die Veröffentlichung in Printmedien vorgesehenen satirisch-grotesken Beitrags. Vielmehr dienten sie mir dazu, [auszugsweise] in Begleitbotschaften zur Adressierung des Artikels an diverse Zeitungsredaktionen und [in vollem Umfang] zur Übersendung an den örtlichen Pfarrherrn Motive und Intention des Verfassers zu erhellen. Kommentierende Rückmeldungen erreichten mich weder vonseiten der Redakteure noch des Pfarrers.)
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