Kavallerie, kavallera …! 

Kavallerie, kavallera …!

(Zeitungsglosse zur Abschaffung der Kavallerie bei der Schweizer Armee)

Von Bernhard Benz

Höflich- oder Verbindlichkeitsvisite politischer Notabilitäten, Publikumspräsentation der von den Triumphstätten in die Heimat rückgeführten Sport-Spitzenzuchtobjekte, Muttertag, Gedenkfeier zu Morgarten, Fasnacht, hochhehres Anniversarium der mythenumwobenen Geburt von Staat und Nation, Fronleichnam, Cupfinal, Enthüllung der zu Ehren des grossmütigen Gönners, bekanntlich noblen Wohltäters erhöhten Gedenktafel, Landsgemeinde, Kulturpreisverleihung, Eröffnung des Weihnachtsverkaufes, Jungschützen-/Jungbürger-Feier usf.: Anlässe, Tage, die im glänzendsten Gewande daherkommen wollen. Solcher Wille wird in Hinkunft hervorragend begünstigt werden, die Absicht vielversprechend gefördert, von Mal zu Mal möglicherweise staunenerregende Prachtszenen, wohlangemessen festlich-strahlende wie ebenso sehr aufs heiterste buntwogende, pittoreske und würdige, putzblitzende, blinkende und Sinnreiches und Bedeutungsstarkes ausdrückende Symbolschutzgeleite, Feierzugsvorhuten, Renommier- und Prunkabteilungen, Ehrenkonvois, Paradierschauspiele und Banner-, Flaggen-, Landes- und Standesemblem-Trägerformationen vor- und aufzuführen. Wer ist der freudig willkommen Geheissene, der landab, landauf Gepriesene, der edle Garant dafür, dass wir mit Gewissheit prompter und ausgezeichneter Darbietung solcher Wohlgefallen erweckender, ja Begeisterung hervorrufender Zeremonien und Jubelszenenabfolgen entgegensehen dürfen, wer ist’s? – Das Militär. – Ach, vorzüglich freundlich, honett. Vorausapplaus!

Ich darf nämlich hoffentlich vermuten, dass mir Folgendes zu Ohren gekommen sein soll: Jenen Ortes, wo man an Volkes Stelle und mit Hilfe Gottes die Verantwortung trägt und in Bezug aufs Militärische Beschlüsse fasst, trat man zusammen und brachte einander erstaunlich neue Argumente zu Gehör. Bomben seien grässlich wüst, zerstörerisch und ärgerlich vor allem auch, wenn man bedenke: etwa aufs eigene Haupt; Jagdflugzeuge, Raketen sündhaft teuer, Positives zu bewerkstelligen dennoch fast gänzlich ungeeignet. Die tausendtausend Gewehre sowie andern Feuerrohre seien verderbenbringend, auf Menschen gerichtet beinahe doppelt schlimm. Überhaupt sei Vernunft immer mehr im Kommen. Grossmächte hätten es zwar noch etwas schwer, vom Status quo loszukommen. Im Kleinen gehe es doch sicher leichter. Ob man nicht sogar einmal vielleicht vorausgehen wolle, es könne eigentlich nur Ehre einbringen, für Vernunft und Menschlichkeit beispielhaft die entscheidenden Umbrüche eingeleitet zu haben, ihnen zu verhelfen, die im Grunde genommen herbeigewünschte allgemeine Weltgeltung zu erlangen etc. Die ganze Institution könne man aber begreiflicherweise, d. h. eingedenk der starken Tradition, natürlich doch nicht Knall auf Fall auslöschen. Kurz, Fazit war folgender Beschluss:
Aufgelöst werden alle Truppengattungen ausser der Kavallerie. Diese aber soll – und da wird trotz des nicht unerheblichen Aufwandes immer noch viel günstiger und billiger gefahren – in eine Art glänzende, zum Teil historische Züge tragende Prunk-, Parade-, Ehren-, Festfeier- und Operettentruppe umgestaltet werden. Das hat Zweck, weil dann Schaulustigen und Lebensfrohen heitere Szenen, prächtige Anlässe beschert, Feinsinnigen und Schöngeistigen gerührte Empfindungen, tiefe und erinnerungsschwere Bewegung geschenkt, in Künstlern schöne, ergreifende Ahnungen, beziehungsvolle Assoziationen geweckt und die Korpsdienstleistenden mit dankbarem, selbstbewusstem Pflichtgefühl und stolzer, aber gerechter Hochschätzung von Aufgabentreue und Hingabewillen erfüllt werden.

Und solche Bilder soll’s etwa abgeben: Golden, silbern blitzt und blinkt und gleisst es, in allen Farben leuchtet und winkt es, Borten und Tressen, Kordeln, Quasten, Pailletten, Schnallen, Schnörkel, Epauletten, Röcke, Beinkleider, Samt und Seide und Brokat, Wämser, Panzer und Harnische, Lederzeug, Helme und Visiere, Barette, Schlapphüte, Fellmützen, Dreispitze, Zöpfe und Maschen, Handschuhe und Stiefel und Sporen. Sie fahren auf, bilden Reihen und Glieder, stehen Spaliere, formieren wechselnde Pulks, geben gar Polonaisen, Galoppe, Turniere, die Reiter-, Husaren-, Kürassier-, Dragoner- und Kavallerieregimenter und -schwadronen, und tragen, schultern, recken, präsentieren und schwingen Schwerter, Säbel, Degen, Lanzen, Musketen, Flinten, Repetiergewehre, Wimpel, Standarten, Fahnen. Eingeteilt in Vor- und Nachhut, Haupttross, Stosstrupps oder Verbindungskolonnen, kommen sie durch Strassen und Gassen und ziehen zum Hauptplatz, und ans Ohr schlagen Waffenklirren, Hufgetrappel, Gleichschritt (der unberittenen Gardekompanie), Schwenk- und Grusskommandos, Trommelwirbel, Signale, Fanfaren, Hornrufe, Marschmusik. Ist das nicht ein herrliches Salutieren, Paradieren, Defilieren, Musizieren, Jubilieren! Und der fröhliche, ausgelassene, beglückt-, entrückt- oder entzückte Zuschauer lacht, winkt, applaudiert, in seiner Phantasie tummeln bewegteste Bilder, die mit dem Geschauten wetteifern, und es wimmeln und schwirren und tönen in ihm und um ihn Sankt Georg, Richard Löwenherz, Jeanne d’Arc, Prinz Eugen, der Alte Dessauer, Versailles, Schönbrunn, Radetzky, Händel, Haydn, Franz von Suppé u. a. m. Heiter buntes Wogen, Freudentaumel allenthalben, Begeisterung, Jubel, herrlicher Rausch, Unbeschreiblichkeiten … – Wirklich wunderbare Aussichten, kann ich nur sagen.

*

„Mein lieber Freund“, spricht da einer zu mir, „die Kavallerie wird nicht glanzvoll verstärkt, nicht mit grossartigem Schmuck, Gepränge und Zierrat bereichert und lieblicher noch und schöner gemacht, nicht aufgehoben werden die übrigen Truppengattungen – das pure Gegenteil ist der Fall.“

„Was!“, rufe ich ungläubig und auch entgeistert. „Das Militär will seines einzigen Zweckes vergessen und entraten seines Nutzens sowie des Dienstes an der Frohlaune des Einzelnen und am Ergötzen der Gemeinschaft! Mich sollt’s nicht wundern, wenn da der Verweigerer mehr und mehr würden!“

(Altstätten, Frühjahr 1972; publiziert in der „Rheintalischen Volkszeitung“ am 8. April 1972 und in „Der Rheintaler“ am 12. April 1972)
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