Die verheimlichte Offenbarung 

Die verheimlichte Offenbarung

Von Bernhard Benz

Der selbstgerechten, eigennutzverschriebenen Schweizer Krämerseele ist der weltweit geschuldete Respekt aufgekündigt worden, sie ist darob arg verletzt, reagiert aufgebracht wehleidig und zugleich hektisch aufbäumungsaktiv. Die Bundesregierung soll und will mit trotzigem Mut das erste Freiheitssymbol dieses Landes, das hingebungsvoll und inbegrifflich verehrte Bankmysterium – diesen wohl namhaftesten nationalcharaktergeprägten Beitrag zum Weltkulturerbe – gegen ausländische Raubattacken beschirmen und an granitenem Port neu befestigen. Parlamentsmehrheit, Medien und bestürzt betroffene Volksscharen mobilisieren existenzangstgepeinigt heldenhafte Notwehrkräfte und formieren sich zum befreiungskampfbewährten Verteidigungsigel.

Aus auf- und abgeklärterer Perspektive betrachtet ist das sog. Bankgeheimnis nichts anderes als eine habgiermotivierte Verrechtmässigung der Verheimlichung wahrer persönlicher Besitzverhältnisse, ein Hort und Born spiessbürgerlicher Quasiunbescholtenheit, das sakralisierte Refugium biedermännisch-egoistischer Mammonsanbetung, ein Instrument legalisierter Insolidarität, d. h. des Willens, den eigenen Wohlstand, schweizerisch die Hablichkeit, auf Kosten anderer zu sichern und zu mehren. Und gleichzeitig will sich der damit verschwisterte schöne Zweck entfaltet wissen, je gewissenloser, desto ausgeprägter darauf bedacht zu sein, mit dem Ruf (vermeintlicher) Rechtschaffenheit und Ehrenhaftigkeit zu renommieren.

Durch die Verfassungspräambel „Im Namen Gottes …“ bezeugt sich das Eidgenossenvolk die christliche Gottgefälligkeit seines gesetzeskonform opportunistischen Tuns. Dass der Religionsstifter seinerzeit u. a. den Pharisäern (!) auseinandersetzte, jedermann habe „dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist“, zeitgemässer ausgedrückt, dem Staat – also der Gemeinschaft – den nach Gerechtigkeitskriterien bemessenen Anteil abzuliefern, beweist indessen vielleicht nur, dass Christi Vorausblick nicht bis zum auserwählten Sonderfall Schweiz hinreichte. Aber – um Himmels willen – die Gottesanrufung bleibe unangetastet! Dazu riete auch heute noch jede mit Image- und Prestigeevaluationen betraute PR-Agentur, zudem kann dies bei der Abwehr von Symbolen oder gar Annexionsabsichten von Gruppierungen, deren Weltanschauung noch extremer männlichkeitlich geprägt ist, evtl. unschätzbare Dienste leisten.

Eines aber „offenbart“ das Verheimlichungsdrama aller Welt: Der Schweizer sieht aus wie Merz, hat den Geldbeutel im Herzen und die Aktienkurse im Hirn, wieselt rastlos zwischen seinen wenigen deklarierten und vielen nichtdeklarierten Konten Per-Saldo-Profite überschlagend hin und her und lockt buckelnd seinesgleichen aus aller Herren Ländern ins Asyl für fiskalisch Belästigte und Verfolgte.

(Kaltbrunn, März 2009; Zeitungsleserbrief)
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